Die beiden Hemisphären unseres Gehirns – links und rechts – sind auf unterschiedliche Aufgaben spezialisiert. Eine aktuelle Studie fragt, wie es dazu kommt und kommt zu einem überraschenden Ergebnis.
Hemisphärische Dominanz, auch bekannt als Lateralisierung der Hirnfunktion, beschreibt die Tendenz, dass entweder die linke oder die rechte Seite des Gehirns bestimmte Hirnaktivitäten ausführt.
Obwohl beide Hirnhälften nahezu identisch sind, führt eine Hemisphäre bestimmte Funktionen vorrangig vor anderen aus.
Zum Beispiel beherbergt die linke Hemisphäre Gehirnregionen, die mit der Sprache verbunden sind (oder die rechte Hemisphäre bei Linkshändern).
Bisher dachten Wissenschaftler, dass nur der Mensch dieses Phänomen aufweist. Neuere Forschungen haben jedoch eine lateralisierte Hirnfunktion im gesamten Tierreich gefunden – von Insekten, wie z. B. Honigbienen, bis hin zu aquatischen Säugetieren, einschließlich Schwertwalen.
Das Corpus callosum – ein dicker Trakt aus Nervenzellen, bekannt als Kommissurale Fasern – verbindet die beiden Hemisphären. Wie genau die Dominanz zustande kommt, ist noch unklar.
Dieser Frage sind kürzlich Forscher der Ruhr-Universität Bochum nachgegangen. Sie untersuchten das visuelle System von Tauben und veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Zellberichte.
Vogelgehirne und alte Ideen
Bisher haben Wissenschaftler die Theorie aufgestellt, dass eine Seite des Gehirns die andere einfach hemmt, so dass diese die Dominanz übernimmt.
Co-Autor Prof. Onur Güntürkün erklärt: „In der Vergangenheit wurde angenommen, dass die dominante Hemisphäre über die Kommissuren hemmende Signale an die andere Hemisphäre sendet und so bestimmte Funktionen in dieser Region unterdrückt.“
In der Tat wird angenommen, dass die dominante Hemisphäre ihre Nachbarin überwältigt. Allerdings haben die Wissenschaftler auch festgestellt, dass erregende Botschaften in beide Richtungen laufen, also muss mehr hinter dieser Interaktion stecken.
Die Forscher entschieden sich, ein Taubenmodell zu verwenden, weil andere Studien in den letzten Jahren die hemisphärische Dominanz bei dieser Spezies detailliert beschrieben haben.
So übernimmt in Taubengehirnen die linke Hemisphäre die Führung, wenn es um die visuelle Verarbeitung von Mustern und Farben geht. Umgekehrt beschäftigt sich die rechte Gehirnhälfte häufiger mit sozialen oder emotionalen Reizen.
Die Wissenschaftler trainierten die Vögel auf eine Farbdifferenzierungsaufgabe. Diese Aufgabe involviert insbesondere den Teil des Gehirns, der visuelle Informationen nutzt, um motorische Aktivitäten zu steuern. Bei dieser Art von Aufgabe ist die linke Seite des Gehirns dominant.
Um zu verstehen, wie der Cross-Talk zwischen den Hemisphären die Dominanz beeinflusst, schalteten Prof. Güntürkün und Co-Autor Dr. Qian Xiao einige der Neuronen, die zwischen den beiden Gehirnhälften verlaufen, zeitweise ab.
Störung des Cross-Talks
Nachdem sie bestimmte Neuronen, die von einer Seite laufen, blockiert hatten, beobachteten sie die Aktivität der Neuronen, die normalerweise ihren Input auf der gegenüberliegenden Seite erhalten. Auf diese Weise konnten sie die Art und Weise, in der die dominante Hemisphäre ihre Kontrolle ausübt, auseinandernehmen.
Die Forscher zeigten, dass die linke Gehirnhälfte bei dieser Aufgabe nicht nur die rechte Gehirnhälfte hemmt, sondern die Reaktion der rechten Gehirnhälfte verzögert und so verhindert, dass sie sich beteiligt.
Prof. Güntürkün erklärt: „Die rechte Hemisphäre agiert einfach zu spät, um die Reaktion zu kontrollieren.“
Anstatt die Reaktion nur zu hemmen, arbeitet die rechte Gehirnhälfte immer noch, aber ihre Signale kommen zu spät, um das Verhalten des Vogels zu beeinflussen.
„Diese Ergebnisse zeigen, dass die hemisphärische Dominanz auf einem ausgeklügelten Mechanismus beruht. Sie hängt nicht von einem allgemeinen hemmenden oder erregenden Einfluss ab, sondern wird durch winzige zeitliche Verzögerungen in der Aktivität von Nervenzellen in der anderen Hemisphäre verursacht.“
Prof. Onur Güntürkün
Die Erkenntnisse bieten eine völlig neue Sichtweise auf die hemisphärische Dominanz. Die Forschung an diesem recht eigentümlichen Phänomen, das die Evolution in vielen Bereichen des Lebens liebevoll konserviert hat, wird sicher weitergehen.
Allerdings wird es wohl noch eine ganze Weile dauern, bis wir verstehen, warum die Aufteilung von Aufgaben zwischen den Hemisphären evolutionär so vorteilhaft ist.